Thema dieses Vortrags war die Briefedition sowie die Probleme, vor die dieselbe gestellt ist, und wie verschiedene praktische Aspekte davon erörtert werden können, um eine gemeinsame Diskussion der Quellengattung Brief zu ermöglichen. Denn trotz der im Titel erwähnten Omnipräsenz von Briefen und Briefkorrespondenzen als Quellen wurde in der älteren Quellenkunde nicht die quantitative Konsequenz daraus gezogen und Handbücher nehmen kaum Rücksicht darauf. Dabei begegnet man Korrespondenzen, die so viel mehr interessanten historischen Inhalt bieten als nur Kommunikation zweier Parteien, öfter als man meint, wie Patrick Patrick Fiska aus seiner eigenen Erfahrung mit Forschungsprojekten u.a. aus seiner Recherche-Agentur berichtete. Gunilla Budde postulierte einst zur Rolle der Briefe in der Kulturgeschichte, dass deren Rezeption und daraus resultierende Forschung schwankenden Konjunkturen unterliege – etwa gemäß dem Prinzip, dass, je eifriger eine Epoche selbst im Briefeschreiben tätig war, desto stärker war auch ihr Interesse an Briefen vor ihrer eigenen Zeit.
Die Praxis des Briefeschreibens bildet laut der Literatur eine anthropologische Konstante der Kommunikation und reicht bis in die Antike zurück. Erhaltene antike Brief-Sammlungen sind etwa die in England gefundenen Vindolanda-Tablets und Bloomberg-Wachstäfelchen, deren Zusammenhang durch die zufällig gemeinsame Überlieferung gebildet wird, und am anderen Ende des Spektrums an literarischer Finesse die Briefsammlungen des Redners Marcus Tullius Cicero. Die „Entdeckung“ der letzteren im spätmittelalterlichen Italien führte dort und letztlich darüber hinaus nicht nur zu einer intensiveren Beschäftigung mit Briefkorrespondenzen, sondern auch zur Anlage und Zirkulation von zeitgenössischen Briefsammlungen Gelehrter, wie etwa Francesco Petrarcas oder im österreichischen Raum Johannes Schlitpachers, die zuerst handschriftlich zusammengetragen und in der Frühen Neuzeit dann auch gedruckt wurden. Ab diesem Zeitpunkt nehmen Briefe und deren Sammlungen als Korrespondenzen stetig an Menge zu.
Die nach und nach aus Einzelbriefen entstehende Korrespondenz bildet wiederrum ein konstitutionelles Element bei der Entstehung von Briefen und legitimiert so die Edition, denn durch eine solche wird nicht nur der Einzelbrief in der „Gemeinschaft“ der anderen Briefe auf eine höhere Ebene gehoben, sondern auch eine Grundlage für kontextualisierende Bearbeitung dieser Quellen gegeben. Korrespondenzen oder Sammlungen können um eine gebildete Person kreisen oder aus personell wie geographisch weit hinausreichende Netzwerken hervorgehen oder eben, wie die erwähnten antiken Täfelchen, „zufällig“ zu einem Corpus werden. Briefsammlungen wurden, wie bereits gesagt, im Spätmittelalter zu einem größeren Thema und vor allem Gelehrtenbriefsammlungen stellten ab der Neuzeit ein wissenschaftliches Arbeitsinstrument dar, wie etwa die Bibliotheca Otto und Johann Burckhardt Menckes zeigt, die Korrespondenzen aus allen möglichen Zeitperioden miteinschließt. Ähnlich ist es bei Veröffentlichungen der Brüder Pez, die in ihrem Thesaurus Anecdotorum einen eigenen Band für Briefe und deren Sammlungen vorsahen.
Als Beispiel-Editionsprojekt für eine Gelehrtenbriefsammlung als Arbeitsmittel im 18. Jahrhunderts soll der Cluster rund um die Korrespondenz des Apostolo Zeno, eines italienischen Numismatikers, dienen. Dieser veräußerlichte seine Münzsammlung durch Vermittlung eines weiteren Numismatikers, des Jesuiten Erasmus Fröhlich, dem Stift St. Florian, die zur bedeutendsten Sammlung neben der kaiserlichen in den österreichischen Ländern wurde. Doch diese Sammlung musste weiter gehegt und gepflegt werden, weswegen das Stift weiterhin mit Fröhlich in brieflichem Kontakt stand und so seine Informationen bezog. Dieser Kontakt wurde an Fröhlichs Schüler, Josef Khell, „weitervererbt“, der ihn nicht nur aufrecht erhielt, sondern dieses numismatische Netzwerk auf weitere namhafte Numismatiker, auch aus dem Ausland, ausdehnte. Für Khells Schüler und „Erbe“ wiederrum, Joseph Hilarius Eckhel, bildete dieses ständig wissenschaftliche Informationen austauschende Netz eine unersetzliche Quelle, die gewiss zu seiner eigenen Karriere beitrug. Allerdings gibt es auch Probleme bei dieser Edition, wie Fiska darlegte. So überwarf sich Eckhel mit einigen seiner „ererbten“ Korrespondenzpartner, von denen nun verdächtigerweise Briefe scheinbar fehlen. Ein weiteres Problem sind die Beilagen der Briefe, die unter anderem etliche Münzzeichnungen enthalten, aber nicht gemeinsam mit den Briefen gebunden wurden. Sie sind nur zu Teilen mit den Brief-Codices als „Anhängsel“ überliefert, zu anderen Teilen aus ihrem Zusammenhang gelöst von seinerseits Eckhels Nachfolger, Franz Neumann, und somit verstreut.
Im breiten Feld des Briefs existieren zahllose Untergruppen, die je nach den involvierten Personen und Inhalt stark variieren können, sowie deren korrespondierende Definitionen, so zum Beispiel der bereits genannte Gelehrtenbrief, aber das Spektrum reicht hin bis zum (erlaubten) Liebesbrief. Generell sollten all diese Arten jedoch von amtlichem Behördenschriftgut, das zwar auch briefähnliche Form hat, jedoch in diesem Fall „Schreiben“ genannt wird, getrennt werden, obwohl es sein kann, dass sich Privates und Amtliches in einem Stück, beziehungsweise einer Korrespondenz, mischt.
Für den stets für Editionen nötige Schritt der Transkription sucht sich jedes Projekt eine eigene Vorgehensweise, doch mit der sich stetig verbessernden Bildwiedergabe der Quellen wendet sich die generelle Präferenz näher zur buchstabengetreuen Wiedergabe zu. Einige Editionsunternehmen nutzen die Seite Transkribus als Darstellungsmedium, mit einem unterschiedlichen Grad an digitaler Erfassung und Verschachtelung des Textes der Quellenabbildung mit dem Interface. Eine andere viel genützte Methode ist die Erfassung des Textes als XML-File mittels des Programms Oxygen, das den Vorteil hat, Grundlage für sowohl eine analoge als auch eine digitale Edition bilden zu können. Welche der zahlreichen technischen Möglichkeiten auch immer benutzt wird, es sollte stets darauf geachtet werden, praktischen gemeinsamen Standards und Plattformen entgegenzuarbeiten, damit die Arbeit eines Unternehmens ohne viel Aufwand auch von anderen für zukünftige Forschungen verwendet werden kann und somit nur einmal erledigt werden muss.
Was etwaige Regesten von Briefinhalten betrifft, gehen die Meinungen auseinander. Während die Germanistik etwa den Volltext vorziehe, sieht die Geschichtswissenschaft in den Regesten einen Service, der Benutzer*innen viel Zeit erspart, und somit gegeben sein sollte. Der Umfang eines Regests kann vom knappen Kopfregest bis zu detaillierten Inhaltsangaben reichen, die mitunter als Ersatz für das eigentliche Stück verwendet werden könnten. Wie ausführlich die Regesten einer Briefkorrespondenz-Edition sein sollten, hängt hingegen von den Spezifika des Corpus ab, so hätte es etwa wenig Sinn, ein ausführliches Regest einer Feldpostkarte zu erstellen.
Eine weitere Komponente von Briefeditionen, die je nach Sammlung und Editionsaufgabe sehr verschieden ausfällt, ist der Kommentar in Form von einem Text- und Sachapparat. Dieser kann sogar völlig fehlen, wenn Museen etwa nur ein Bild der Quelle hochstellen, wie das Deutsche Museum etwa für die Korrespondenz zwischen Josef Popper-Lynkeus und Ernst Mach. Das Technische Museum in Wien befindet sich am anderen Ende der Aufwands-Skala, wo nicht nur das Bild, sondern auch der Text gleich daneben dank der Arbeit der Firma Semantics so verknüpft sind, dass sich der Text vorlesen lässt, wie beim Negrelli-Nachlass zu sehen ist.
Damit sind auch schon einige Formen der Editions- und Publikationsformate im musealen Bereich angesprochen. Weiters gibt es über den musealen Kontext hinaus die rein digitale Edition, bei der nichts Physisches erscheint oder die Hybridedition, bei der eine digitale Anwendung mit einer analogen Buch-Erscheinung Hand in Hand gehen. Als vorbildliches Beispiel für ein digitales Editionsprojekt wurde die Seite Early Modern Letters Online, kurz EMLO, genannt, das dank der Größe des Projekts und der immer wieder dafür lukrierten Geldmittel mehrere technische Umbrüche meisterte und zusätzlich noch zahlreiche Briefeditionsunternehmen untereinander verbindet, aber auch nur einen fragmentarischen Überblick geben kann, da noch viel mehr Quellenmaterial existiert, als im Projekt bisher eingearbeitet werden konnte.
In der Diskussion wurde daran gemahnt, dass nicht zu vergessen sei, dass einerseits besonders im Mittelalter beträchtliche Lücken zwischen tatsächlich versandten Briefen und dem, was als Brief in einer Sammlung festgehalten wurde, klaffen, da die Inhalte teils eklatante Redaktionen, auch von den Urheber*innen selbst, erfuhren und dass andererseits der Brief auch als literarische Gattung aufgegriffen wurde und somit eher wertvoll ist als Quelle zu dem/der Verfassenden wie als Sachinformation. Patrick Fiska antwortete, dass die mittelalterliche Perspektive auf die Briefsammlungen zeigt, wie wichtig der Brief für die Menschen als Konzept war, etwaige Autographen, beziehungsweise „Originale“ jedoch tatsächlich nur schwer zu erahnen seien. Ebenso wies er darauf hin, dass in der Neuzeit streng unterschieden wurde zwischen der Gattung „Brief“ und tatsächlich versandten Schriftstücken.
Eine weitere Frage, die aufkam, war jene nach der Sinnhaftigkeit des Befolgens von Dogmen bei Editionen, denn ein solches Vorgehen könnte die Signifikanz einzelner Quellen größer darstellen als sie tatsächlich ist, als Beispiel wurde die Feldpostkarte genannt, deren karger Inhalt ein ausführliches Regest nicht rechtfertigen würde. Trotzdem wurde für wissenschaftliche Standards beim Edieren plädiert. Dr. Thomas Wallnig führte als Gegenbeispiel die Edition der Leibniz-Korrespondenz an, die neben der gesellschaftlichen Elite als Briefpartner von Leibniz auch Briefe an etwa seinen Friseur enthält – was und mit wie viel Aufwand ediert würde, hinge stark von der Zielgruppe ab. Es sei zu viel, starre Dogmen aufzustellen, doch zumindest ein Regelwerk wird benötigt.
Gefragt wurde auch nach dem Vorgehen zu der Edition der besprochenen Numismatiker-Briefe, worauf Fiska zur Antwort gab, dass noch keine endgültige Entscheidung hinsichtlich der Erscheinungsform getroffen wurde, wobei eigentlich eine hybride Edition angestrebt würde, was in der derzeit unsicheren und sich schnell verändernden Verlagslandschaft schwierig sei.
Zuletzt wurde noch die Frage nach den Vorteilen einer Hybridedition gegenüber einer rein digitalen gefragt, wo zusätzlich noch die Schwierigkeit erwähnt wurde, dass das Interesse an einer gedruckten Ausgabe, wenn es ohnehin schon eine digitale Version gebe, quasi gegen null gehe. Die Vorteile der hybriden Edition, so Patrick Fiska, liegen in der schnellen Vernetzung und anpassungsfähigen Dynamik der digitalen Komponente einerseits und der Referenzierbarkeit und langlebigeren Natur des analogen Drucks andererseits, da es bei digitalen Projekten durchaus vorkomme, dass sie mit der Zeit nicht mehr gewartet werden und somit nicht mehr funktionieren oder ganz verschwinden. Was das Problem des „unwirtschaftlichen“ Drucks betrifft, so müsse dieser von Anfang an mit budgetiert werden, um nicht am Ende ohne physisches Buch dazustehen. Kurz wurde noch in der Diskussion überlegt, ob man auf den Druck und sogar Verlage generell verzichten könne, doch daraus ergab sich keine konkrete Antwort. (Bericht: Rosa Magits)